Ich weiß, ich bin ein bisschen spät dran, denn erst jetzt ist mir ein Interview auf der "jungen Webseite der süddeutschen Zeitung" (wieso auch immer man so etwas braucht) aufgefallen. Es geht darin um ein kürzlich erschienenes Buch namens "Stripped - A Story of Gay Comics" eines Stuttgarter Rundfunkjournalisten namens Markus Pfalzgraf. Einer kurzen Webrecherche zufolge scheint dies das Erstlingswerk des Autors zu sein und auch das erste Medium, in dem er sich mit Comics beschäftigt. So weit so gut, ich schreibe ja auch noch nicht lange über mein Hobby. Sowohl der Titel des Buchs als auch der Titel des Interviews, obwohl ein bisschen schwurbelig ("Subkulturelles Utopia der sexuellen Identitäten") klangen vielversprechend. Denn an was denkt der animexx-Leser als erstes bei den Worten "Homosexualität" und "Comic"? Natürlich an Shonen-Ai!
Also dachte die naive Kiki, vielleicht wird hier endlich mal ein Annäherungsversuch zwischen Comic und Manga gestartet und zwar über ein gerade in Deutschland weit verbreitetes Mangathema, nämlich die männliche Homosexualität. Doch zunächst gab es eine Frage zur Regionalpolitik, dann ging es auf einmal um homosexuelle Comiczeichner. Naja, sagte ich mir, vielleicht sind die "jungen Leute" ja eher auf reale Personen fixiert als auf Geschichten, da war ja schließlich auch irgendwas mit nem Fußballer neulich. Dann folgte eine Aussage Pfalzgrafs, die mich ein wenig den Mut verlieren ließ:
Was ich zusammengetragen habe, ist eine Art Kompendium von schwulen Autoren, entsprechenden Figuren verschiedenster sexueller Identität, Comics, in denen verschiedene Sexualitäten behandelt werden.
Nagut schade, dann geht es wohl doch um Autoren und nicht um Inhalte. Doch wie es sich für einen ordentlichen Spannungsbogen gehört, folgte direkt darauf die für mich mit Abstand interessanteste Frage im an sonstem eher mauen Interview:
Welche Arten von „schwulen“ Comics gibt es?
[...] In Japan gibt es auf der einen Seite sehr extreme Hardcore-Fetisch-Comics, die teilweise sehr pornografisch sind und auch immer wieder mit den Behörden in Konflikt geraten, denn in Japan gibt es ein Zensurgesetz. Auf der anderen Seite gibt es dort sogenannte „Boys Love Comics“, sehr verträumte Jugend-Comics, die an Seifenopern erinnern, aber nicht viel mit Schwulenkultur zu tun haben. Sie werden häufig von jugendlichen Mädchen gelesen und fast nur von Frauen geschrieben. [...]
Bäm! Und schon sind wir Manga-Menschen wieder in der Fetisch-Schmuddel-Ecke verschwunden, und der "Rest", der ja gerade in der Fanszene einen nicht unbeachtlichen Anteil ausmacht, wird als unrealistisch abgetan. Was ist da eigentlich los? Ist das eine generelle Angst vor asiatischen Comcis oder einfach nur Ignoranz?
Ich lehne mich jetzt ein bisschen aus dem Fenster, denn ich kann mich (schon allein durch Gender und Geschlecht) nicht zur Gruppe der homosexuellen Männer zählen. Doch wenn selbst der Interview-Titel vielfältige sexuelle Identitäten suggeriert, wieso sollen dann weder "Hardcore"-Fetische noch seifenopernartige Beziehungen dazugehören? Auch unter heterosexuellen Paaren gibt es weitaus mehr BDSM- und Fetisch-Experimente als gemeinhin angenommen, wieso dann nicht auch unter gleichgeschlechtlichen? Und von dem bisschen Wissen über die schwule Szene meiner Stadt, das ich mal von einem alten Freund aufgeschnappt habe, konnte ich mir auch schon den einen oder anderen Seifenopern-Plot ableiten.
Natürlich sind Shonen-Ai-Stories im seltensten Falle realitätsnah¹, schon allein weil oft auch Dämonen, Vampire oder andere übersinnliche Wesen hineinfunken. Doch was wollen solche Geschichten dem Leser vermitteln? In erster Linie, dass es vollkommen normal ist - selbst für Dämonen - wenn man einfach liebt wen man möchte, und dass Leute die ihre "ungewöhnliche" Liebe auch leben, jede Menge Respekt und Unerstützung verdient haben. Natürlich geht es auch oft um Vertrauen, Liebe und Sexualität; Themen, die zu einer jeden zwischen"menschlichen" Beziehung gehören. Was oft zu kurz kommt in Shonen-Ai-Stories ist leider die Interaktion mit der restlichen Gesellschaft, das Coming-Out, die eventuelle Zurückweisung von Familie und Freunden. Doch das ist keinesfalls ein Grund, um Boys Love als unrealistisch abzutun, schließlich finden auch schwule Superhelden einen Platz Pfalzgrafs Buch.
Gerade auch die Tatsache, dass Shonen-Ai anscheinend "nicht viel mit Schwulenkultur zu tun" habe, wäre vielleicht ein Anreiz sich mal damit zu beschäftigen, und damit meine ich sowohl Shonen-Ai mit Schwulenkultur, als auch Schwulenkultur mit Shonen-Ai. Wo bestehen die Differenzen? Was ist komplett aus der Luft gegriffen und wo finden sich Metaphern und Parallelen zur Realität? Kann man hier und da vielleicht sogar voneinander lernen?
Auch der letzte Satz des obigen Zitats ließ mich grübeln: Ist es schlecht, dass Boys Love in erster Linie von Frauen gezeichnet wird? Ist es im Gegenteil nicht sogar positiv, dass sich Vertreter des weiblichen Geschlechts ausgerechnet mit der männlichen Homosexualität auseinandersetzen? Vermutlich griff an dieser Stelle der Filter "muss von einem homosexuellen Autor kommen" einfach nicht, vielleicht passte die Tatsache aber auch nicht zur These des Buches.
Vielleicht hat ja jemand anderes hier auf animexx ein bisschen Lust, sich mit dem Buch zu beschäftigen, oder den Autor auf seinen sozialen Kanälen (Facebook und unter @MarkPfalz auf Twitter) mal etwas eingehender zu seiner Einstellung japanischen Comics gegenüber zu befragen. Lieber Herr Pfalzgraf, kommen Sie doch mal rein in unser Randgruppen-Netzwerk und schauen und staunen Sie ob der Zahlen zu homosexuellen Fanworks, seien es Bilder, Fiktionen, Comics oder sogar Cosplays zu vorhandenen und eigenen Charakteren. Freuen Sie sich über unser subkulturelles Utopia der sexuellen Identitäten, über unsere offene Gemeinschaft und so viel Toleranz und Entegenkommen gegenüber Menschen jedes Geschlecht, Genders und sexueller Orientierung, wie ich sie sonst noch nirgends in Deutschland erlebt habe.
¹: Als positives Ausnahmebeispiel möchte ich hier den wunderbaren Douji XXL♥ von abgemeldet empfehlen!